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Selbstliebe. PUNKT.

Fast 26 Jahre ist dieses biologische Wunderwerk mein Zuhause. In ihm habe ich krabbeln gelernt, laufen, sprechen, lesen, schreiben, singen, tanzen. Sein Zentrum beherbergt so viele Ideen, so viele Gedanken, steuert jeden einzelnen Ablauf, bewahrt mich vor Krankheiten, bringt mich zum Schlafen und zu Erwachen. Seine Mobilitätsgaranten haben mich schon überall hingetragen, Tausende Höhenmeter bezwungen, Kilometer zurückgelegt. In meinem Zuhause habe ich geruht, Höchstleistungen vollbraucht, geweint, gelacht, gedacht.

 

Mein Körper brachte ein Wesen hervor, einen neuen Körper, der auf genauso wundersame Weise seine Dienste leistet.

 

Fast 10 Monate lang dehnte sich jeder Muskel, wuchs jede Zelle, verschoben sich meine Organe, weitete sich mein Becken. Meine Haut riss, leierte aus, gab dem Wunder nach, das da drinnen passiert. Mein Magen und meine Blase waren gefühlt an die zwei gegensätzliche Pole dieser Erde gedrückt, beide zuletzt nur noch mit enorm winzigen Fassungsvermögen.
Mein Herz pumpte Blut, Sauerstoff, Nährstoffe durch meine und seine Adern. Meine Lunge atmete für zwei.
Und dann im großen Finale verbrauchte er während einer 30-stündigen Geburt um die 10 000 Kalorien, verausgabte sich über Stunden, hielt unzähligen Wellen abgrundtief abartigen Schmerzes stand, immer und immer und immer wieder. Er schwitzte, er zitterte, er weinte, er schrie. Um. Ein. Verdammtes. Wunder. Zu. Vollbringen.

 

Die Gesellschaft, oder zumindest der arschloch-Teil der Gesellschaft, suggeriert uns immer noch, dass wir die Strapazen dieser Zeit kaschieren müssen, ihre Zeichnungen auf unserem Körper beseitigen müssen. „After-Baby-Body“, „Back to old me“. Nein man! Old me ist nicht mehr. Ciao ciao.
Beyonce zeigt in ihrer Netflix-Doku wie sie sich nach der Geburt ihrer Zwillinge mit einem Apfel an Tag und hysterischem Training für ihre Tour in Shape bringt. Verdammt, was ist das für eine Botschaft? Sorry B., so läuft das nicht.

 

Jeder einzelne Rolle, jede einzelne Falte, jeder einzelne Kilo mehr (mehr als was denn eigentlich, mhm?) hat seine Berechtigung und ist ein verdammter Kraftakt, das zu akzeptieren, jeden Tag aufs Neue. Es kostet Überwindung, sich mit Liebe, mit Respekt und Wertschätzung zu betrachtet und es kostet Überwindung, unretuschierte Haut hier zu zeigen. In der Blase der Internet-Perfektionismus. Aber sorry, wer bin ich, wenn ich bei dieser geschönten Scheiße mitmache?

 

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